Jodeln
kann
wirklich
jeder.
In Anita Biebls Leben spielt schon immer Musik. Das Jodeln kam erst später dazu, hat ihr Herz im Sturm erobert. Genauso wie das Salzkammergut, ihre neue Heimat. Hier, oben auf der Katrin, nimmt sie jeden Mittwoch im Sommer die Menschen an der Hand und zeigt ihnen, dass Jodeln an sich nichts mit Tradition oder Musik zu tun hat, sondern ein Ruf der Seele ist. Der Autor Peter Zeitlhofer hat sich dafür wieder einmal aus seiner Komfortzone gewagt.
Ein Ausflug in eine andere Zeit. Auf der Katrin, dem Hausberg von Bad Ischl, ticken die Uhren halt anders. Bereits unten in der Talstation, aber vor allem dann in einer der kleinen roten Kabinen der Katrin Seilbahn, in der ich auf einer gemütlichen Holzbank Platz nehme. Während draußen die Bäume vorbeiziehen und die Kaiserstadt immer kleiner unten im Tal bleibt, kommt es mir fast wie die Fahrt auf einem der alten Salzkammergut-Raddampfer vor. Stilvoll, charmant und gemütlich - ein Gefühl von Sommerfrische. Nur eben nicht draußen am Wasser, sondern langsam schaukelnd hinauf Richtung Gipfel.
Mit diesen Worten hat mich Anita vor ein paar Tagen am Telefon überzeugt. "Jodeln am Berg" nennt sich das Ganze und findet von Juli bis September jeden Mittwoch ab 10:00 Uhr auf der Katrin statt. Die Worte, "und wenn jemand Gegenteiliges behauptet, dann springe ich ihm auf den Fuß. Dann wird er schon sehen", habe ich dabei gekonnt überhört. Auch wenn sie herzhaft gelacht hat, habe ich so schon genug Bammel, mich wieder einmal aus meiner Komfortzone zu begeben. Diesmal gesanglich.
Oben angekommen blicke ich mich erst einmal um. Auf der einen Seite liegt Bad Ischl tief unten im Tal, auf der anderen Bad Goisern und der in der Sonne glitzernde Hallstättersee. Der mächtige Dachstein setzt der fast unwirklichen Szenerie die Krone auf. Anita ist nicht zu übersehen. Mit ihrer Steirischen in der Hand und einem breiten Lachen begrüßt sie mich und nimmt mir sofort jeglichen Angst vor dem, was in den kommenden 1,5 Stunden auf mich zukommt.
"In meinem Leben hat sich immer alles um die Musik gedreht. Schon in meiner Kindheit am Chiemsee. Aber das Jodeln kam relativ spät, erst am Mozarteum in Salzburg." Am Weg zu unserem ersten Jodel-Spot plaudern wir munter vor uns los, lassen die Katrin-Alm rechts liegen und begegnen unterwegs immer wieder Wanderern. Die Stimme als Instrument habe sie schon immer interessiert, weshalb sie dieser in ihrem Studium der "Elementaren Musik- und Tanzpädagogik" einen Schwerpunkt gewidmet hat. Beatboxen, Obertongesang, Vokalperkussion. Und dann kam die Erkenntnis, dass das Jodeln auch dazugehört. Und hat ihre eigene Jodelschule gegründet.
"Jodeln ist so viel mehr als Tradition. Es ist irgendwann einmal zu Traditionen geworden. Es ist so viel mehr als Musik, auch wenn es irgendwann einmal zur Musik wurde. An sich ist es Kommunikation. Der Ruf der Seele und der Emotionen. Eine Form des Ausdrucks, durch die man sich über weite Distanzen erreichen kann. Von Berg zu Berg zum Beispiel. Die Essenz dabei ist das 'Schnackeln', bei dem die Stimme wie ein Jo-Jo zwischen Kopf- und Bruststimme hin- und herspringt."
Während diese Worte noch in mir nachhallen, lässt Anita einen lauten Ruf. Einen, der wie ein tiefes, lautes Muuuuuu klingt und am Ende sehr hoch im Echo der umliegenden Bergwände verklingt. Ich muss wohl verwundert dreingeschaut haben, als sie mich mit "Jetzt du!" aufgefordert hat, es ihr gleichzutun. Jedenfalls lacht sie laut auf und zeigt mir noch einmal, wie es geht. "Jodeln hat eine ganze Menge mit Rufen zu tun. Und man ruft nie leise und auch nie in uns hinein. Deshalb sind meine Kurse auch so gesund. Wir öffnen uns, das ist das Gegenteil von in uns hineinfressen." Muuuuuuuuu. Das erste Mal klingt noch sehr zaghaft, doch von Mal zu Mal wird es besser.
In einem Kessel mit Blick auf den Gipfel stellen wir uns locker in die Wiese. Atemübungen, Abklopfen der Resonanzkörper des Körpers – das volle Programm. Außerdem boxen wir unsere Alltagsprobleme den Berg hinunter und machen dabei Beatboxing zum Lockerwerden. Was für ein Spaß! Und als Anita dann zum ersten Mal mit ihrer Steirischen dazu zu spielen beginnt, klingt das Ganze plötzlich nach Musik. "Stell dir vor, ich bin erst nach fünf Jahren in Salzburg zum ersten Mal ins Salzkammergut gekommen", erzählt sie in einer kurzen Verschnaufpause. Aber dann hat sie sich Hals über Kopf verliebt und hat schließlich hier auch ihre neue Heimat gefunden. "Das, was wir hier haben, gibt’s sonst nirgends. Karibisches Wasser ohne Haie, dichte Wälder ohne Krokodile." Ich kann nur zustimmend mit dem Kopf nicken.
Weiter geht’s. Ein erster "echter" Jodler zum Aufwärmen, dann gleich noch einer. Und immer spielt Anita dazu. Die Zeit vergeht wie im Flug. Und kaum hat der Kurs begonnen, halte ich auch schon mein Jodeldiplom von Anitas Jodelschule in den Händen. "Die Bestätigung, dass du ab sofort in der Öffentlichkeit jodeln darfst."
Wieder steckt sie mich mit ihrem Lachen an. Zurück in der Gondel muss ich viel über die vergangenen Stunden nachdenken. Vor allem das, was Anita ganz zum Schluss gesagt hat, hallt noch nach. "Es sind ganz viele Details, die hier auf der Katrin stimmen. Dem Berg haftet eine Nostalgie und Energie an, die es kaum mehr gibt. Und das macht die Menschen glücklich und offen." Genau so habe ich es auch empfunden. Eine Energie, die aber nicht nur diesen Berg, sondern das gesamte Salzkammergut so besonders macht. Ein Gefühl von Sommerfrische. Am Wasser, am Berg und auch in uns drinnen. Lachend öffne ich das Fenster meiner roten Kabine und strecke den Kopf hinaus. "Muuuuuuuuuuuuu!" Was für ein tolles Erlebnis.
... andere Herzen mit meinen Jodelkursen zu öffnen.
... dem eigenen Herzen zu folgen. Und da gehört alles dazu. Trauer, Freude, Scheitern, alles.
...fast wie Bayrisch. Also nach Heimat.
... nach Leben. Und nach Kaspress- und Marillenknödel.